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13 août 2021

Gespräch mit Matthias Naske: «Ein großes Privileg»

par Tatjana Mehner

Gespräch mit Matthias Naske, von 2003 bis 2013 Generaldirektor des Établissement public Salle de Concerts Grande-Duchesse Joséphine-Charlotte

Den Bau einer Orgel von Beginn an bis zu ihrer Weihe und darüber hinaus noch ein gutes Jahrzehnt lang zu begleiten, das ist eine Chance, die sich nicht vielen Konzerthausintendanten bietet. Wie haben Sie diesen Prozess erlebt?

So wie ich die Geburtsstunden und -jahre der Philharmonie an sich erleben durfte, durfte ich auch die Orgel in ihren ersten Jahren begleiten. Das ist natürlich ein großes Privileg, und ich bin dem eigenen Schicksal dankbar, dass ich das erleben und dabei viel lernen konnte. Und ich hoffe schließlich, dass als Ergebnis systematischer, professioneller Arbeit vieler beherzter Menschen eine exzellente Orgel entstanden ist, die dem Land weit über diese Zeit hinaus Freude machen wird.
Es war eine der ersten Aufgaben, die die damalige Kulturministerin Erna Hennicot-Schoepges an mich als Generaldirektor des Établissement public gestellt hat, die Orgelfrage zu lösen. Ich muss gestehen, dass ich kein Experte für die Begleitung eines so speziellen Themas war. Entsprechend habe ich mich kundig gemacht. Ich habe gelernt, dass das Ergebnis eines umstrittenen Verfahrens durchaus davon abhängt, wer Mitglied der Jury ist. Das bedeutet, man muss Persönlichkeiten zusammenbringen, die einen großen Weitblick haben und keine individuellen Partikularinteressen. Ich habe im Laufe dieses Prozesses gelernt, dass sehr viele – auch berühmte – Organisten mit Orgelbauern ihre je individuellen Erfahrungen gemacht haben und darum eben auch klare Präferenzen haben. Ich denke, wir haben das dann sehr gut gelöst, als wir die Jury unter Leitung von Daniel Roth zusammengestellt haben. In Absprache mit der Ministerin wollte ich der Brücke zwischen den Kulturen – dem deutschen exzellenten Handwerk und dem französischen Geist in der Musik – auch in diesem Instrument beispielgebend Rechnung tragen.

Photo Jörg Hejkal Photo Jörg Hejkal

In der Tat sind ja die beiden allein schon durch die Sprache in Luxemburg immer präsenten Kulturen – Deutschlands und Frankreichs – auch jeweils geprägt durch sehr starke, alte und in manchen Punkten recht gegensätzliche Orgeltraditionen. Wie hat sich das in diesem Prozess bemerkbar gemacht?

Allein die Wahl des Vorsitzenden der Kommission zur Gestaltung der künstlerischen Disposition der Orgel, Daniel Roth, Titularorganist der Cavaillé-Coll-Orgel der Pariser Kirche Saint-Sulpice, und eines deutschen Orgelbauers in einem Verfahren, das Kriterien der objektiven Nachvollziehbarkeit unterworfen war, zeugt genau davon. Letztlich sind es auch immer künstlerische Erwartungen, die stärker oder weniger stark den verschiedenen Orgelbaumeistern zugeordnet werden können.
Man hat in einem solchen Entscheidungsprozess gleichzeitig auf der einen Seite objektivierbare Kriterien wie Investitionsvolumen, Werkstattgröße, aber auch Dimensionen, die in die Zukunft reichen, wie Orgelwartungsverträge, die Teil des Bieterverfahrens sind, und auf der anderen Seite muss man dem Projekt natürlich auch einen gewissen künstlerischen Glauben schenken und spüren, dass künstlerische Einflussgeber miteinander arbeiten können.
Wenn ich noch einmal auf den Aspekt der Schnittstelle zwischen den Kulturen zurückkommen darf, so ist das für mich eines der unglaublich faszinierenden Themen, die Luxemburg für mich als Österreicher ausgemacht haben. Ich habe es als einen Kulturraum kennengelernt, der sehr viel Eigenständigkeit hat, der Identität hat und trotzdem von so starken kulturellen Blöcken beschattet wird. Luxemburg zeichnet sich für mich, in dem, was ich in dem guten Jahrzehnt, das ich dort leben durfte, erfahren habe, auch durch das Geschick, diese Identität zu gestalten, aus.
Identität hat natürlich mit Geschichte zu tun, mit Traditionen, aber auch mit Selbstwertgefühl und dennoch ebenso mit dem Anerkennen von Vielfalt ohne dabei willkürlich zu sein. Das ist die eigentümliche und großartige Eigenständigkeit, die durch diesen spezifischen kulturellen Schnittstellenpunkt Luxemburgs überhaupt in die Welt kommt. Ich finde das Land noch immer unglaublich bewundernswert, weil es hier gelingt, auf kleinstem Raum eine Vielfalt der Kulturen zu leben und auch zuzulassen, die größere Nationen mit all der kulturellen Tradition, die sie im Rucksack tragen, oft viel schwerer leben können.

Photo Raymond Clement

Wenn wir noch einmal zurückkommen zur Schuke-Orgel. Es wird ja immer wieder auch über den optischen Eindruck des Instrumentes spekuliert…

Das Thema der Fassade ist immer wieder originell. Im Grunde sehen die Menschen die Fassade an und glauben, das ist die Orgel; aber eigentlich lässt sich die musikalische Qualität der Orgel daran kaum erkennen, nicht einmal ihr Klangcharakter. Die Fassade wurde in diesem Falle tatsächlich auf der Grundlage einer Skizze von Christian de Portzamparc gestaltet. Die Firma Schuke hat sich darauf sehr geschickt eingelassen.

Welche musikalischen Erlebnisse mit dem Instrument sind Ihnen besonders in Erinnerung?

Was ich besonders in Erinnerung habe, sind die doppelten Schweller, die es erlauben, die Dichte des Tons, die Lautstärke fast stufenlos zu modulieren, was sehr ungewöhnlich ist. Das ist ein Charakteristikum, das ich besonders geschätzt habe. Ich war sehr glücklich, als ich das zum ersten Mal gehört habe.

Außerdem kann ich mich genau erinnern, dass der luxemburgische Komponist Alexander Müllenbach besonderen Wert auf die spanischen Trompeten gelegt hat, diese Orgelpfeifen, die in den Raum hinein strahlen.
Überhaupt finde ich es sehr angenehm, wenn lebende Komponisten mit ihren Vorstellungen auf den Bau einer Orgel derart einwirken und inspirieren können.
Was konkrete Werke betrifft, möchte ich mich nicht festlegen, auch wenn es die sicher gibt. Ich lebe da gedanklich immer eher in der Zukunft. Das ist wohl eine Berufskrankheit…

Das Interview wurde am 16.10.2020 per Telefon geführt.