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15 May 2018

«Es war wie im Film» - Kerry Turner im Gespräch

by Tatjana Mehner

Tatjana Mehner: Auf dem Programm steht die Uraufführung von Apache Sunrise. Schlagen Sie mit diesem Stück einen Bogen in die Geschichte des Orchestre Philharmonique du Luxembourg?

Kerry Turner: Das soll eigentlich eine Trilogie werden. Ich hatte zuvor schon ein Stück über «Indianer»-Themen geschrieben, das auch das OPL bereits vor zehn Jahren gespielt hat. Einen dritten Teil habe ich ebenfalls vor längerer Zeit komponiert, aber immer das Gefühl gehabt, dass er noch nicht seine endgültige Form gefunden hat. Bei der Arbeit an Apache Sunrise wurde mir klar, dass sich das perfekt in diese Reihe einfügen würde. Alle drei Sätze werden sich auf «Indianer»-Themen beziehen [Anmerkung der Redaktion: Der Begriff «Indianer» bezieht sich hier und im Folgenden nicht auf konkrete Personen oder Völker, vielmehr auf eine (rezeptions-)historische Konstruktion, die explizit ein romantisches Bild von der nordamerikanischen Kultur beinhaltet]. Und das ist, meines Wissens, bisher einzigartig.

Woher rührt dieses thematische Interesse?

Das sind in gewisser Weise meine Wurzeln. Ich bin teilweise Native American, Kado und Cherokee. Ich erinnere mich, dass meine Großmutter viel darüber gesprochen hat. Und auch wenn ich persönlich wenig emotionale Bindungen in diese Richtung habe, interessiert mich das schon. Obendrein bin ich in Texas aufgewachsen, wo das ein prägender Teil der Kultur ist. Mich begleitet dieses Interesse also schon sehr lange. Bereits in meinen kompositorischen Anfängen habe ich einmal ein «Indianer»-Lied erfunden und in ein Stück eingebettet. Das Publikum hat es geliebt, besonders hier in Europa und in Asien, und wollte immer mehr davon. Mir hat das Spaß gemacht. Schließlich habe ich entdeckt, dass das bisher sehr wenige Komponisten überhaupt probiert haben.

Route 66 Old Highway Apache Drive | photo: National Park Service Route 66 Old Highway Apache Drive | photo: National Park Service
 

Nach und nach ist diese Klangsprache zu einem Element geworden, das in meiner Musik immer wieder auftaucht, auch wenn es im Stück selbst nicht explizit darum geht.

Wie kann man sich diesen Prozess des «Erfindens» einer «Indianer»-Melodie vorstellen?

Normalerweise gehe ich auf youtube, oder ich habe auch eine ganze Reihe von CDs zuhause mit Aufnahmen originaler Tänze und Lieder indigener Stämme. Meistens sind das relativ simple Strukturen. Über das Anhören entwickelt sich in meinem Kopf meine eigene Melodie. In sehr seltenen Fällen habe ich tatsächlich auf eine Originalmelodie zurückgegriffen.

Die Route 66 ist legendär. Sie spielt auch in diesem Werk eine gewisse Rolle. Wie kam es dazu?

Vor geraumer Zeit habe ich mich entschlossen, mich selbst auf diese Spur zu begeben. Ich habe viele Jahre im American Horn Quartet gespielt. Unser letztes Konzert war in Los Angeles. Das war der Schlusspunkt eines wichtigen Abschnitts meines Lebens. Ich wollte im Anschluss zu meiner Mutter nach Texas fahren, und irgendwie wurde mir bewusst, dass ich den US-amerikanischen Westen nicht gut kenne. Der Entschluss stand fest, ein Auto zu mieten und einfach los zu fahren. Ohne Plan. Wir hatten vor, die Autobahn häufig zu verlassen, um möglichst viel auf der Route 66 zu fahren. Es war wie im Film. Einfach beeindruckend. Man fährt an einem uralten Friedhof vorbei mit mehr als hundert Jahre alten Holzkreuzen. Es ist unglaublich heiß. Und die Hotels sind genau wie man das aus dem Kino kennt. Dann wieder ein ausgebranntes Auto am Straßenrand. Natürlich habe ich am berühmten Bagdad-Café gehalten. Und in New Mexico gab es dann auch die Territorien der Native Americans, wie man sie sich vorstellt. Das war meine erste Reise entlang der Route 66. Es war wunderbar. Und Sonnenauf- und -untergänge sind in dieser Landschaft natürlich spektakulär. Bereits damals hatte ich den Gedanken, darüber irgendwann einmal etwas zu schreiben. Aber bisher hatte sich keine Gelegenheit dazu geboten. 

Route 66 at Meteor Crater Road, Arizona Route 66 at Meteor Crater Road, Arizona
 

Und bei diesem Auftrag dachte ich: Das ist perfekt hierfür. Die Entwicklung einer kompositorischen Idee ist bei mir oft ein recht unbewusster Prozess. Wie Johann Sebastian Bach, dessen Porträt über meinem Schreibtisch hängt, bin ich der Meinung, dass die Musik an sich schon existiert, und es vielmehr unsere Aufgabe ist, sie zu finden und aufzuschreiben.

Im Konzert trifft das Werk auf andere «amerikanische» Werke…

Jetzt steht das Stück zwischen Barber, Bernstein, Gershwin… Das zu wissen, war schon eine Herausforderung.

Sehen Sie Berührungspunkte?

Ich denke, es gibt verschiedene amerikanische Kompositionsweisen. Bernstein und Gershwin, das ist für mich ein typischer New Yorker Klang. Und es gibt natürlich auch eine westliche Musik, die stark von Kalifornien, von Hollywood geprägt ist. Ich komme irgendwo da aus der Mitte, wobei es da keine Schule im eigentlichen Sinne gibt. Ich schließe mit meinen «Indianer»-Themen quasi eine Lücke.

Apache Sunrise ist ein Kompositionsauftrag des OPL. Wie ist es für das eigene Orchester zu schreiben?

Ich hatte schon zuvor ein paar kleinere Stücke für das Orchester geschrieben. Die Kollegen wissen relativ genau, wie ich schreibe, vor allem die Blechbläser. Und meistens freuen sie sich darüber. Viele haben mir das auch gesagt, und das ist eine schöne Ermutigung. Ich weiß, dass sie hinter mir stehen und das akzeptieren werden, was ich schreibe. Entsprechend habe ich mich noch mehr über den Auftrag gefreut.


Das Interview wurde im März 2018 in der Philharmonie geführt.

photo: Vitezslav Valka photo: Vitezslav Valka

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